Wörterbuchtypologie
„Hat man eine bestimmte Menge M von Gegenständen, die unter den Begriff des Wörterbuches fallen, dann kann man diese Menge in Klassen zerlegen: man kann M (und damit ihre Elemente, die Wörterbücher) klassifizieren.“ (Hausmann 1989, 968)
D.h. auch, dass zunächst zu definieren ist, was ein Wörterbuch ist.
Für eine wissenschaftliche Klassifikation sind weitere Bedingungen erforderlich; s. im Einzelnen Hausmann 1989, 968.
Prinzipiell gibt es nicht angebbar viele mögliche Klassifikationen von Wörterbüchern; welche Eigenschaft herausgegriffen werden soll, ist abhängig vom Zweck der Klassifikation.
Klassifikation – Typologie
„Im folgenden wird davon ausgegangen, daß es in einer Klasse von Wörterbüchern besonders typische Vertreter gibt, die sozusagen im Zentrum der Klasse stehen und als Prototypen gelten, während andere, weniger typische, an ihrer Peripherie angesiedelt sind. Eine Typologie ist dann eine Klassifikation, die sich an Prototypen orientiert.“ (Hausmann 1989, 969)
typologisieren (im Gegensatz zur Matrix): in einer Matrix stehen verschiedene Merkmale gleichberechtigt nebeneinander, zum Typologisieren gehört aber das „Privilegieren (Dominantsetzen) eines Merkmals bzw. die Hierarchisierung der Merkmale als Typologiekriterien.“ (Hausmann 1989, 969)
Schlaefer bezeichnet dieses Hierarchisieren als das Herausgreifen von „Leitmerkmalen“ (Schlaefer 2002, 109f.)
Verschiedene Typen von Typologien:
freie, theoretische Typologie: ein Wörterbuch kann mehrere typologische Standorte haben
praktische Typologie: Zuweisung eines einmaligen typologischen Standorts, z.B. in einer Wörterbuchbibliothek (Hausmann 1989, 970)
Zu klärende Frage: Was ist Sprachlexikografie, v.a. in Abgrenzung zur Sachlexikografie?
In der Wörterbuchforschung scheint folgende Unterscheidung akzeptiert:
in Sprachwörterbüchern geht es vor allem um die Erklärung von Wörtern als Wörter,
in Enzyklopädien hingegen ist das Ziel das Beschreiben, Definieren von Sachen oder Sachverhalten, die diese Wörter bezeichnen.
Allerdings zeigen alle von Wiegand (Wiegand 1998, 47ff.) zitierten Beispiele, das eine klare Grenzziehung allgemein als schwierig angesehen wird, da auch bei einer Worterklärung z.B. enzyklopädisches Wissen herangezogen werden kann.
Kann man daher Sprach- vs. Sachwörterbuch nicht mehr als klassifikatorische Prädikate behandeln? D.h. gibt es kein entweder-oder, sondern nur ein mehr oder weniger?
Kritik von Wiegand
Diese Abgrenzungsversuche sind philologisch-linguistisch und damit zu eng. Wählt man einen weiteren handlungs- und kommunikationstheoretisch sowie kulturwissenschaftlich fundierten Ansatz, lässt sich die Abgrenzungsproblematik besser lösen.
Nach Wiegand: Lexikografie besteht aus menschlichen Handlungen und ihren Ergebnissen
d.h. wer die Handlungsergebnisse sinnvoll klassifizieren will (wie hier Arten von Wörterbüchern), der muss neben diesen Handlungsergebnissen die Intentionen und Ziele der Handelnden berücksichtigen;
d.h. die genuinen Zwecke der Sprach- und Sachwörterbücher sollen als Abgrenzungskriterium herangezogen werden.
Aus dieser Überlegung kommt Wiegand zu einer disjunkten
Einteilung von Sprach- und Sachlexikografie:
„Die Sprach-
und die Sachlexikografie sind eine eigenständige kulturelle und
wissenschaftliche Praxis. Erstere ist darauf ausgerichtet, daß
Nachschlagewerke zur Sprache (= Sprachnachschlagewerke) als
Gebrauchsgegenstände, letztere darauf, daß
Nachschlagewerke zu Sachen (= Sachnachschlagewerke) als
Gebrauchsgegenstände entstehen.“ (Wiegand 1998, 54)
Für Wörterbücher, deren genuiner Zweck es ist, Sprach- und Sachwissen zu vermitteln, schlägt Wiegand den Terminus Allbuch vor. (Deutsches Beispiel ist die 6. Auflage des „Brockhaus in fünf Bänden“ von 1978, in dem heißt, er sei „Lexikon und Wörterbuch in einem“.)
Definitionen, die zu der Typologie gehören:
Nachschlagewerk
„Ein Nachschlagewerk ist ein Buch (hier
verstanden als etwas Gedrucktes) mit wenigstens einer definierten
äußeren Zugriffsstruktur, dessen genuiner Zweck darin
besteht, dass ein potenzieller Benutzer aus den lexikografischen
Textdaten Informationen zum Gegenstandsbereich des Nachschlagewerkes
gewinnen kann." (Wiegand 1998, 58)
Darauf aufbauend definiert Wiegand ein Sprachwörterbuch:
Sprachwörterbuch
Def. 2: „Ein Sprachwörterbuch ist ein Nachschlagewerk, dessen genuiner Zweck darin besteht, dass ein potenzieller Benutzer aus den lexikografischen Textdaten Informationen zu sprachlichen Gegenständen gewinnen kann.“ (Wiegand 1998, 58)
Frage, welche Typologiekriterien von besonderer Relevanz sind. Zwei sind nach Hausmann unstrittig:
Wozu dient ein Wörterbuch? -> Funktionstypologie
Wie sieht ein Wörterbuch aus? -> phänomenologische Typologie
Zur Funktionstypologie
Dies soll die Wörterbücher „an dem Gesamt der Benutzungssituationen“ (Hausmann 1989, 970) messen, also z.B.
Nachschlagen
Praktische Zwecke/wissenschaftliche Zwecke
bei Textrezeption/bei Textproduktion
systematisches Lernen/Lösung bestimmter begrenzter Aufgaben
Eine solche Typologie ist reizvoll, da sie Wörterbücher als Gebrauchsgegenstände sieht
Von der praktischen Einordnung hat es eine solche Typologie jedoch schwer, die Vielfalt der existierenden Wörterbuchtypen anschaulich zu klassifizieren, denn viele Zwecke können auf ganz verschiedenen Wegen erreicht werden. Im HSK Wörterbücher ist deshalb eine phänomenologische Typologie zu Grunde gelegt.
Insgesamt ist im Bereich der Wörterbuchtypologie jedoch noch viel zu tun: „Typologisch ist die lexikographische Welt noch weitgehend unerschlossen.“ (Hausmann 1989, 979f.)
Hausmann, Franz-Josef (1989): Wörterbuchtypologie. In:
Hausmann, F. J./Reichmann, O./Wiegand, H. E./Zgusta, L. (Hg.)
(1989): Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur
Lexikographie. Band 1. Berlin/New York: de Gruyter, 968-981.
Schlaefer, Michael (2002): Lexikologie und Lexikographie. Eine
Einführung am Beispiel deutscher Wörterbücher.
Berlin: Erich Schmidt Verlag, 108-110.
Wiegand, Herbert Ernst (1998): Wörterbuchforschung. Untersuchungen zur Wörterbuchbenutzung, zur Theorie, Geschichte, Kritik und Automatisierung der Lexikographie. 1. Teilband. Berlin/New York: de Gruyter, 47-58.
Wörterbuchtypologie – Carolin Müller-Spitzer – 3. Mai 2006
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